Nächstenliebe, Feindesliebe und Kampf gegen Schmarotzer


Worauf ich immer wieder verweise, ist das nach Jesus wichtigste Gebot: „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst." (Matthäus 22:39) Dieses genügt meist, um das eigene Handeln in gesellschaftlichen Beziehungen zu beurteilen.

Z.B. verstößt Jeder gegen das Gebot, welcher im Kapitalismus Lohnarbeit leistet. Mit der Nächstenliebe hat der zwar kein Problem, rackert er sich doch für den Profit der Kapitalisten immer stärker ab. Aber er verstößt eindeutig gegen den zweiten Teil des Gebots, die gleiche Selbstliebe, indem er sich ausbeuten läßt. Umgekehrt siehts beim Herren Kapitalisten aus, bei welchem die Selbstliebe stimmt, es aber mit der Nächstenliebe nicht weit her ist. Dann gibts noch die Medien-, Management- und Politlakaien der Kapitalisten, die zwar sich (Diäten und Nebeneinkünfte) und die Kapitalisten (Steuergeschenke) lieben, dafür aber ihren anderen Nächsten, den Arbeitern (Tarifaufweichung), Arbeitslosen (Hartz IV), Rentnern (Nullrunden und Nettokürzungen), Kindern (Einsparungen im Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungssystem) und Studenten (Studiengebühren), gewaltig eins husten.

Die Lösung, also die praktische Umsetzung des höchsten biblischen Gebots, ist einfach: wir müssen den Schmarotzern die Grundlage ihres Schmarotztums entziehen, das Privateigentum an gesellschaftlichen Produktionsmitteln.

Aber widerspricht das nicht dem Gebot der Nächstenliebe? Mitnichten. Denn dabei wird ja nichts enteignet, was sich die Schmarotzer auf der Basis des höchsten Gebots aneigneten, sondern nur zusammengeraubtes Gut in die Hände Aller überführt. Die Schmarotzer werden dabei nicht eigentumslos, sondern gewinnen auch das als (gemeinschaftliches) Eigentum, was vorher andere Schmarotzer zu ihrem privaten Eigentum erklärten.

Natürlich stehen die Schmarotzer solchen Bestrebungen feindlich gegenüber. Sie setzen ihre ganze ökonomische, politische und mediale Macht einschließlich den ihnen in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung unterstellten Gewaltinstrumenten (Polizei, Geheimdienste und Militär) ein, um die Grundlage ihrer Macht, das Privateigentum an gesellschaftlichen Produktionsmitteln, zu erhalten. Dabei schrecken sie vor keinem Verbrechen zurück, was sie in der Geschichte oft bewiesen wurde (Sachsen/Thüringen 1923, Spanien 1936-39, Chile 1973, Uruguay 1976, Haiti 2004...).

Dürfen wir diesen Verbrechern mit Gewalt begegnen? Ich habe mit Jesus begonnen, aber genau der forderte ja auch die Feindesliebe: „Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen" (Matthäus 5:44)

Gerade deshalb müssen wir ihr Schmarotzertum beseitigen. Wir können sie nur von ihrem Verstoß gegen das höchste Gebot abbringen, indem wir ihnen zeigen, daß ihr Privateigentum an gesellschaftlichen Produktionsmitteln nicht dazu dient, das höchste Gebot zu erfüllen, sondern sie zwingt, fortgesetzt dagegen zu verstoßen. Das können sie nur aus der Erfahrung lernen, da sie und ihre Vorfahren sich gegen die Erkenntnis bisher verschlossen. Diese Erfahrung können nur wir ihnen ermöglichen.

Die proletarische Revolution ist also nicht nur Ausdruck der Nächsten-(und Selbst-)liebe, sondern auch der Liebe gegenüber denen, die uns feindlich gegenüberstehen und verfluchen.

Besonders deutlich wird das, wenn wir die andere Möglichkeit betrachten: den Kapitalismus und die Herrschaft der Kapitalisten weiter hinzunehmen. Deren Handeln beruht auf Konkurrenz und Profitstreben, Mißachtung gemeinschaftlicher Interessen und der Bedürfnisse Anderer. 842 Millionen Hungernde (2004) und zwischen 25000 und 80000 täglich Verhungerte (verschiedene Studien der letzten Jahre), davon allein 2004 etwa 5 Millionen Kinder, imperialistische Aggressionskriege und selbst langfristig nicht mehr gut zu machende Umweltzerstörung und Raubbau an allen Ressourcen - Alles im Profitinteresse - sind alles Andere als mit den biblischen Geboten im Einklang. Jeder, der aktiv daran beteiligt ist oder sich passiv zur Teilnahme nötigen läßt, macht sich dieses Verstoßes gegen die biblischen Gebote schuldig. Jesus: "30 Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut." (Matthäus 12:30).

Was tat Jesus selbst? Gern wird seine "Gewaltfreiheit" angeführt. Offenbar wird dabei die Reinigung des Tempels in Jerusalem verdrängt, als er die Lakaien der Priesterschaft, die Opferhändler und Geldwechsler, unter physischer Gewaltanwendung vertrieb. Ein weiteres beliebtes Argument ist sein "So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!" (Matthäus 22:21). Auf die einfache Nachfrage, ob denn Jesus den geforderten Wegezoll selbst bezahlte (um den es bei dieser Äußerung ging), können die Frager nur herumdrucksen - Jesus bezahlte ihn nämlich nicht.

Nun, "Christen" suchen, wie viele Andere, gern Rechtfertigungen ihrer Inkonsequenz, Feigheit und Faulheit. Und natürlich finden sie sich durch die institutionellen "christlichen" Kirchen - welche sich schon seit dem 4. Jahrhundert immer in den Dienst der Herrschenden stellten und teilweise selbst Teil der Herrschenden waren - bestärkt und bestätigt. Durch solche Nebensächlichkeiten wie das laut Jesus höchste und schon von Moses (bzw. Gott) stammende Gebot lassen sie sich dabei nicht beirren.

Ich rufe nicht zu bewaffnetem Revoluzzertum. Aber wo bitte sind in der Bibel Streik und Boykott gegen die Schmarotzer der Menschheit und die Zerstörer ihrer Zukunft verboten? Gerade Jesus lebte das vor: Er speiste zwar mit den (nach damaliger Auffassung) übelsten Sündern, aber solchen, die zur Umkehr bereit waren. Anderen, auch religiösen Heuchlern, erteilte er eine eiskalte Abfuhr.

Ihr habt selbst die Wahl, feige, faul, egoistisch und damit zerstörerisch weiterzuleben oder das höchste Gebot zu beachten. Welches übrigens ein Doppelgebot ist, denn Eure Liebe zu Gott ist damit untrennbar verknüpft.

Glaubt nicht, Eure Feinde zu lieben, indem Ihr deren Verbrechen duldet und dadurch unterstützt.


27.07.2005

Torsten Reichelt

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