Sozialismus und Kommunismus

Wenn die Begriffe Sozialismus und Kommunismus fallen, meinen Viele, mitreden zu können. Allerdings beschränkt sich die geäußerte Meinung, was Sozialismus denn sei, meist auf ein Nachplappern der Scheißhausparolen bürgerlicher Propagandamedien. Schlagworte wie “Diktatur”, “Totalitarismus”, “Eingesperrtsein”, “Unfreiheit”, “Überwachungsstaat”, “Mangelwirtschaft” können auf Nachfragen und vor Allem im Vergleich mit der kapitalistischen Gesellschaft fast nie erklärt werden. Die gedankenlosen Nachplapperer merken noch nicht einmal, daß sie die Parolen eines Fleischers über vegetarische Ernährung wiederholen, ohne den Inhalt verstanden zu haben.

Kommt tatsächlich jemand auf die Idee, in sozialistischer / kommunistischer Literatur nachzulesen, findet er Informationen wie diese hier (Philosophisches Wörterbuch, VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1975):

Sozialismus und Kommunismus: 1. Entwicklungsphasen der kommunistischen Gesellschaftsformation, die die kapitalistische Gesellschaftsformation durch die sozialistische Revolution gesetzmäßig ablöst, auf dem gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln beruht und von der Arbeiterklasse im Bündnis mit anderen Klassen und Schichten unter Führung der marxistisch-leninistischen Partei planmäßig gestaltet wird; 2. Wissenschaftliche Theorie von den Gesetzmäßigkeiten der Verwirklichung der historischen Mission des Proletariats, d.h. von den Gesetzmäßigkeiten des Klassenkampfes, der Strategie und Taktik der Arbeiterklasse in Vorbereitung und Durchführung der sozialistischen Revolution und beim Aufbau des Sozialismus und Kommunismus; Bestandteil des Marxismus-Leninismus als der wissenschaftlichen revolutionären Weltanschauung der Arbeiterklasse; 3. Inbegriff der revolutionären, marxistisch-leninistischen Arbeiterbewegung...”

Aha. Von kleineren inhaltlichen Mängeln abgesehen hat der Letzte spätestens an diesem Punkt das Interesse verloren, zu erfahren, was Sozialismus und Kommunismus denn ist. Phrasenhaft abstrakt und langweilig. Das ist so, als würde man einem Kind auf die Frage, was ein Elefant ist, antworten:

Elefant: Ansammlung von Zellen, welche infolge eines evolutionären Prozesses eine von bestimmten Merkmalen gekennzeichnete Anordnung und Funktion entwickelten, welche unter dem Begriff Elefant zusammengefaßt werden.”

Das ist zugegeben etwas übertrieben, soll aber auch nur das Grundproblem verdeutlichen. Etwas Richtiges zu sagen, heißt noch lange nicht, damit auch das Wesentliche zu sagen und vor Allem auch verstanden zu werden und weiteres Interesse zu wecken. Ich möchte deshalb - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - einige Grundzüge des Sozialismus und Kommunismus nennen und beim Kommunismus beginnen.

1. Im Kommunismus gilt der Grundsatz: “Jeder nach seinen Fähigkeiten, Jedem nach seinen Bedürfnissen”.

Bei etwas (oberflächlicher) Betrachtung stößt man schnell auf das Problem, daß ja z.B. Alle das Bedürfnis entwickeln könnten, in einem Schloß zu wohnen, eine große Yacht zu besitzen, einen Bentley zu fahren und sich von Anderen bedienen zu lassen. Das ist (öko-)logisch unmöglich. Was also sind die Bedürfnisse, die Jedem befriedigt werden?

Im Kommunismus sind die Bedürfnisse des Einzelnen aus eigenen Antrieb immer auf die Möglichkeiten und Bedürfnisse der Gemeinschaft abgestimmt. Aufgrund einer neuen Bildung und Moral, nämlich der kommunistischen, werden unvernünftige Bedürfnisse und egoistische Motive verschwinden.

Jeder setzt alle seine Fähigkeiten zum Nutzen der Gemeinschaft ein, wodurch er selbst wiederum Nutzen durch alle Anderen erfährt. Zudem ist dafür notwendig, daß Jeder diese Fähigkeiten frei entwickeln kann, da er nur so der Gemeinschaft den größten Nutzen bringen kann. Womit wir beim nächsten Punkt wären:

2. Im Kommunismus entfaltet Jeder seine Fähigkeiten und Interessen frei. Mehr noch: die gesamte Gesellschaft ist auf die allseitige Entwicklung und freie Entfaltung der Persönlichkeit ausgerichtet.

Diese Förderung der individuellen Merkmale und Talente ermöglicht den optimalen Nutzen der Arbeitsteilung, der von keinem Zwang zu einer bestimmten Lohnarbeit je erreicht werden kann.

Das hat ganz und gar nichts mit Gleichmacherei zu tun, die uns bürgerliche Scheißhausparolenschmiede immer nachsagen, denn jeder Mensch hat verschiedene genetische Anlagen, unterliegt verschiedenen Einflüssen und sammelt einzigartige Erfahrungen. Gleichmacherei würde den Kommunismus als wissenschaftliche Weltanschauung, welche die Erkenntnisse aller anderen Wissenschaften natürlich anerkennt, völlig auf den Kopf stellen. Welche Gleichheit streben wir aber an?

3. Im Kommunismus haben Alle gleiches Recht. Das heißt, die Rechte des Einzelnen schränken die Rechte aller Anderen in keiner Weise ein. Umgekehrt hat niemand das Recht, etwas zu tun, das Anderen Schaden zufügt. Womit wir beim nächsten Punkt wären, der Freiheit.

4. Im Kommunismus besteht absolute Handlungsfreiheit. Allerdings nach der Hegelschen Freiheitsdefinition: “Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit.” oder (meine Version): Freiheit ist das (Streben nach dem) Maximum gegenwärtiger und zukünftiger Entwicklungsmöglichkeiten der Menschheit. Das heißt, frei ist nur, wer danach strebt, ALLEN Anderen Freiheit zu schaffen. Egoismus ist mit Freiheit unvereinbar. Freiheit wird im Kommunismus durch das Gemeinnutzprinzip verwirklicht.

5. Im Kommunismus ist das Eigentum im bürgerlichen Sinn aufgehoben. In einer Gesellschaft, die sich gleichzeitig als Gemeinschaft versteht, ist der Eigentumsbegriff überflüssig. Das heißt nicht, daß Jeder Alles nutzt oder sich nehmen kann, sondern daß die von einer Person genutzten Dinge nicht krampfhaft als “Eigentum” gegen Andere gesichert werden müssen, sondern selbstverständlich respektiert werden.

Mehr noch: im Kommunismus wird auch der Eigentumsbegriff[1] verschwinden.

Viele werden an dieser Stelle einwenden, daß das Alles ganz gut klingt, aber gegenwärtig als unmöglich umsetzbare Illusion erscheint. Deshalb habe ich auch mit der Schilderung des Kommunismus begonnen, welcher das Ziel darstellt, und nicht mit dem Sozialismus, welcher die Übergangsgesellschaft dahin bezeichnet.

Der Sozialismus ist nicht nur die unvollkommene Vorstufe, sondern zunächst auch mit allen Fehlern der jetzigen Klassengesellschaft behaftet. Der Inhalt des sozialistischen Aufbaus ist die Beseitigung der Merkmale der kapitalistischen Klassengesellschaft und die zunehmende Annäherung an die kommunistische Gesellschaft.

Wie viele Fehler dabei möglich sind, wurde 1989/90 deutlich, als die sozialistische Gesellschaftsordnung im Weltmaßstab zurückgeworfen wurde. Die Konterrevolution siegte vorübergehend nicht nur im Mutterland des Sozialismus, der Sowjetunion, sondern warf nahezu alle sozialistischen Staaten zurück in die veraltete Klassengesellschaft.

Aber nur nahezu. Denn trotz jahrzehntelanger Embargos halten sich die Republik Cuba und die KDVR (in bürgerlichen Medien als “Nordkorea” bezeichnet) vorbildlich und bringen ein von vergleichbaren kapitalistischen Ländern unerreichtes Sozialsystem hervor, welches sich besonders im Bildungs- und Gesundheitswesen niederschlägt.

Was der Sozialismus nicht kann noch leisten sollte: die Bürger der sozialistischen Staaten mit demselben bunten nutzlosen Plunder überschütten, mit dem in kapitalistischen Ländern die Meisten verblendet werden. Ich möchte das so ausdrücken: der Kapitalismus lockt mit Befriedigung (Fressen bis zum Abwinken, Mobiltelefone mit Funktionen, die Keiner braucht, Geld, welches nur noch als Zahl in Computern existiert), im Sozialismus wird das kommunistische Ziel Zufriedenheit angestrebt. Hand aufs Herz:

Weißt Du, was Zufriedenheit ist? Kennst Du den Unterschied zwischen Befriedigung und Zufriedenheit?

13.03.2005

Torsten Reichelt

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Das Umdenken



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[1]Wie z.B. das Grundeigentum unsinnig ist. Durch Rodung und andere Urbarmachung kann man ein Nutzungsrecht erwerben, aber kein Eigentum. Das erinnert mich an die zwei Flöhe, die sich streiten, wem der Hund gehört, auf welchem sie leben. Bei uns Menschen haben es nur einige "Flöhe" geschafft, den "Hund" bzw. Teile davon zu ihrem Eigentum zu erklären - gegenüber anderen Flöhen.